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Psychische Gesundheit gewinnt an Aufmerksamkeit – da es jeden betrifft

Gestalten Sie als Betriebsrat mit!

Veröffentlicht am 24.01.2022
Kathrin Wiemann | ifb
   
        
        
     
Die psychische Gesundheit von Beschäftigten gewinnt mehr und mehr an Aufmerksamkeit. Das Gute: Gesundheit am Arbeitsplatz kann aktiv gefördert werden – und das lohnt sich! Mit gesundheitsfördernder Arbeitsgestaltung und Prävention lässt sich nicht nur die psychische Gesundheit der Beschäftigten erhalten oder verbessern, sondern es lassen sich auch wirtschaftliche Ziele erreichen.
 Psychische Gefährdungsbeurteilung als lohnenswertes Instrument: Wie dieses Vorhaben vorangetrieben werden kann und wo Sie als Betriebsrat hinschauen und mitwirken können, lesen Sie hier.
 

Diagnose: Psychisch krank

In Deutschland ist jedes Jahr etwa 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen. Das entspricht rund 17,8 Millionen Menschen. Wenn wir von psychischen Erkrankungen reden, ist eine Diagnose bereits gestellt.

Psychische Erkrankungen zeigen sich diagnostisch durch Abweichungen der Wahrnehmung, des Denkens, Fühlens und des Selbstbildes zum gesunden Zustand. Oftmals liegt der Ursprung in der familiären Disposition, in Erfahrungen und in Erlebtem. Sie können aber auch durch die Belastung und Stimmungen am Arbeitsplatz entstehen. Bestimmt kennen Sie als Betriebsrat oder Interessenvertreter den ein oder anderen Kollegen, den Sie ihn in der Beratung begleitet haben oder ggfs. in einem Gespräch oder BEM-Verfahren unterstützen, der erkrankt ist.

Auch wenn psychische Erkrankungen nicht zwingend im Arbeitsverhältnis die (alleinige) Ursache haben müssen, spielen sie in der Arbeitswelt eine immer größere Rolle, denn oft nehmen Leistungsdruck, Omnipräsenz und Doppelbelastung zu.

Von der diagnostizierten Erkrankung müssen wir die psychische Belastung unterscheiden. Psychische Belastungen bei der Arbeit sind Risikofaktoren, die eine psychische Erkrankung (mit)verantworten können. Hier kommt dem Arbeitsplatz eine wichtige Verantwortung und Rolle zu.

Anstieg der Fehlzeiten

Die Zunahme der Fehltage wegen psychischer Erkrankungen ist seit Jahren sehr auffällig. Von 2010 bis 2020 nahm die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen um 56 % zu. Auffällig ist auch, dass im Jahr 2020 die kurzen Krankschreibungen bis zu einer Woche zurückgingen, wohingegen eine deutliche Zunahme der Fallzahlen bei den länger dauernden Krankschreibungen zu verzeichnen war.

Lange Ausfallzeiten
Psychische Erkrankungen bringen häufig lange Ausfallzeiten mit sich. Im Schnitt dauerten sie 30,3 Tage – das ist mehr als doppelt so lang wie die durchschnittliche Zahl der Krankheitstage bei anderen Erkrankungen (13,8 Tage). Für Sie als Betriebsrat ist es wichtig, diese innerbetrieblichen Zahlen zu kennen, z. B., indem Sie sich diese von der Geschäftsleitung im ASA (Arbeitssicherheitsausschuss) vorstellen lassen. Hier sind Sie als Betriebsratsmitglied ja vertreten. Krankenkassen, bei denen Ihr Betrieb mehr als 100 Mitarbeiter versichert hat, stellen diese Daten im sogenannten Gesundheitsbericht vor.

Tipp!

Je mehr Mitarbeiter bei der gleichen Krankenkasse versichert sind, desto repräsentativer wird die anonyme Datenschau.

Die beiden häufigsten Diagnosegruppen
Depressionen verursachen mit rund 106 Fehltagen je 100 Versicherte weiterhin mit Abstand die meisten Fehltage, lagen 2020 jedoch auf Vorjahresniveau. Anpassungsstörungen haben hingegen an Bedeutung gewonnen. Eine Anpassungsstörung ist eine Reaktion auf verschiedenste Belastungen (z. B. Scheidung, Mobbing, Arbeitsplatzverlust, Tod, Krankheit). Im vergangenen Jahr entfielen 64 Tage je 100 Versicherte auf diese zweitwichtigste Diagnose, 8 % mehr als im Vorjahr.

Was sind psychische Belastungen in der Arbeitswelt?

Psychische Belastungsfaktoren sind definiert als „die Gesamtheit der erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken“ (DIN EN ISO 10075). Sie werden als neutral verstanden, da sie sowohl negativ als auch positiv auf den Menschen einwirken können. Beispielsweise wird ein großer Handlungsspielraum von dem einen Beschäftigten als angenehm, von dem anderen als überfordernd empfunden.

Dabei reagieren Menschen auf die meisten Gefährdungsfaktoren psychisch und zugleich physisch. Ein Beispiel: hoher Lärm kann zu einem Hörschaden führen können (= physische Reaktion) und zugleich die Konzentration beeinträchtigen (= psychische Reaktion).

Welche Belastungsfaktoren gibt es?
Es gibt fünf Merkmale typischer Belastungsfaktoren, die sich negativ auf die psychische Gesundheit von Beschäftigten auswirken können: 

  1. Arbeitsinhalt/ -aufgabe
  2. Arbeitsablauf/ -organisation
  3. Soziale Beziehungen
  4. Arbeitsumgebung & -mittel
  5. Neue Arbeitsformen

Psychische Beanspruchung

Die psychischen, körperlichen, genetischen und sozialen Voraussetzungen von uns Menschen sind unterschiedlich.

Ob eine Belastung zu einer individuellen Beanspruchung führt, hängt von diesen individuellen Voraussetzungen ab. Hierzu gehören Fähigkeiten, Erfahrungen, Vertrauen in die eigene Person, Motivation, Einstellung, Bewältigungsstrategien, der Gesundheitszustand, Alter, Geschlecht und vieles mehr.

Die Belastungsfaktoren können zu kurz- oder langfristigen Beanspruchungsfolgen beim Menschen führen. Als Beanspruchung wird die individuelle Reaktion der Beschäftigten auf diese Belastungsfaktoren verstanden. Typische Reaktionen sind z. B. Muskel-Skelett-Beschwerden, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Stressreaktionen und Depressionen.

Hierzu ein Beispiel: Erteilt die Führungskraft einen Zusatzauftrag, können die Reaktionen der Mitarbeiter ganz unterschiedlich sein. Während sich eine Kollegin über die Abwechslung freut und sofort mit der Bearbeitung beginnt, schimpft ihr Kollege zunächst und ärgert sich noch weitere Tage über die Mehrarbeit. Ein dritter Kollege steht unter derartigem Termindruck, dass er unter extreme Anspannung und Stress gerät und der Arbeit fernbleibt. Hier wird deutlich, dass der gleiche Auftrag, die gleiche Belastung, je nach individuellen Voraussetzungen zu unterschiedlichen Beanspruchungen führt.

Arbeitsbedingte Kosten psychischer Störungen

Die Folgekosten arbeitsbedingter psychischer Fehlbelastungen werden in Deutschland auf ca. 10 Milliarden Euro geschätzt. Neben den direkten Behandlungskosten beinhaltet die Zahl Kosten des Arbeitsausfalls, Krankengeldzahlungen der Krankenkassen, Kosten krankheitsbedingter Frühverrentungen und Einnahmeverluste sowie Zusatzausgaben der Rentenversicherung.

Am schmerzhaftesten für das Unternehmen sind die Fehlzeiten: Mehrbelastung der anwesenden Mitarbeiter, wodurch sich wiederum deren Erkrankungsrisiko erhöht, erschwerte Planung, Produktionsausfall, Lieferschwierigkeiten und damit Unzufriedenheit der Kunden, Gehaltsfortzahlung, sinkende Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens, Verlust von teuer ausgebildetem Fachpersonal durch Fluktuation oder Frühverrentung.

Jährlich werden Unsummen von Euros verschwendet – verursacht durch psychische Fehlbelastung.

Wichtig!

Eine gesund gestaltete Arbeit leistet einen wichtigen Beitrag, die Kosten zu senken und so den Standort sowie die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Deshalb muss es das Ziel aller Beteiligten sein, Arbeitsbedingungen gesund zu gestalten.

Der Arbeitsgeber in der Pflicht: Die Gefährdungsbeurteilung

Die Gefährdungsbeurteilung ist Grundlage für die Prävention von Unfällen und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie der menschengerechten Gestaltung von Arbeit. Seit Ende 2013 fordert das Arbeitsschutzgesetz explizit auch die Berücksichtigung der psychischen Belastungen bei der Beurteilung von Arbeitsbedingungen § 5 ArbSchG.

Der Gesetzgeber hat sich in den letzten Jahren verstärkt dem Thema psychische Belastungen und Erkrankungen angenommen und festgelegt, dass die Arbeit so zu gestalten ist, dass eine Gefährdung der Psychischen Gesundheit möglichst vermieden bzw. geringgehalten werden soll. Diese Verpflichtung des Arbeitgebers folgt auch aus der allgemeinen, in §§ 241 Abs.1, 618 BGB normierten Fürsorgepflicht.

Wichtiger aber noch: § 5 ArbSchG verpflichtet den Arbeitgeber, die sogenannte Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, d.h. Gefahrenquellen zu identifizieren und entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Bei der Gefährdungsbeurteilung geht es nicht darum, die psychische Situation des einzelnen Beschäftigten zu analysieren, sondern die gefährdenden Faktoren der Arbeit/Umwelt festzustellen und zu beurteilen. Hierfür bieten sich Mitarbeiterbefragungen, Interviews oder Workshops an. Bei den Befragungen können Sie sich als Betriebsrat wunderbar einbringen und dabei mitwirken, Bedenken der Mitarbeiter zu entkräftigen oder das Verfahren zu erläutern. Die Methode wird je nach Betrieb gewählt.

Sobald die Gefährdungen ermittelt und beurteilt wurden, z. B. in Schwere und Ausmaß, geht es darum, geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Maßnahmen können beispielsweise die Reduktion von Unterbrechungen oder die Zuweisung abwechslungsreicher, weniger monotoner Aufgaben sein.

Wichtig!

Sowohl bei der Auswahl der Methode (auch wegen dem Thema Datenschutz), als auch beteiligten Dritten und nachgelagerten Maßnahmen, sind Sie als Betriebsrat zu beteiligen!

Die Überlastungsanzeige: Richtig handeln zum richtigen Zeitpunkt

Aber auch Beschäftigte selber sind aufgerufen, ihre Überlastung zu melden: Sie müssen Gefährdungen ihrer psychischen Gesundheit mit der sogenannten Überlastungsanzeige anzeigen. Diese bietet die Möglichkeit, auf die Situation aufmerksam zu machen und sich bei möglichen Haftungsansprüchen entlasten zu können.

Sie ist der schriftliche Hinweis an den Arbeitgeber oder unmittelbaren Vorgesetzten, dass eine potenzielle Schädigung und Gefährdungen der Kunden, des Unternehmens oder der Beschäftigten selber durch eine vorliegende Überlastung droht.

Die Anzeige sollte dem direkten Vorgesetzten, dem Betriebsrat, dem Arbeitgeber und ggf. weiteren Personen schriftlich übermittelt werden. Hier beschreibt der Mitarbeiter die konkrete Belastungssituation, z. B., dass er nicht fristgerecht bzw. in hinreichender Qualität seine Aufgaben bearbeiten kann.  

 Psychisch erkrankt, lange Fehlzeiten? Folge: BEM

Der Arbeitgeber ist nach § 167 Abs. 2 SGB IX verpflichtet, ein sogenanntes betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anzubieten, wenn jemand aufgrund seiner psychischen Erkrankung länger als sechs Wochen innerhalb eines Kalenderjahres arbeitsunfähig erkrankt ist. Wie Sie als Betriebsrat hier mitwirken können, lesen Sie unter der Rubrik BEM.

Ihre Mitbestimmung als Betriebsrat beim betrieblichen Gesundheitsschutz

Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat in Angelegenheiten des betrieblichen Gesundheitsschutzes mitzubestimmen, solange der Arbeitgeber über Handlungsspielräume verfügt; so z. B. auch bei der Gefährdungsbeurteilung im Fall von psychischen Belastungen. Hier kann der Betriebsrat auch sein Initiativrecht nutzen und Maßnahmen vorschlagen .

Wird die Gefährdungsbeurteilung an Dritte delegiert, kann der Betriebsrat mitwirken, welche Qualifikationen diese Person nachweisen müssen. Im Rahmen des § 80 Abs 1 Nr. 1 BetrVG überwacht der Betriebsrat die Einhaltung der Arbeitsschutzvorschritfen.

Auf geht’s: Maßnahmenplan

Bei der psychischen Gefährdungsbeurteilung beteiligen Sie die Befragten daran, was sich ändern sollte.

Gleichwohl müssen Mitarbeiter erfahren, wie sie ihrer Pflicht nachkommen, Fähigkeiten auszuweiten und dazuzulernen, ohne sich zu überfordern. Hier bieten sich Workshops und Weiterbildungen an. Ziel ist es auch, die betrieblichen Akteure (darunter Unternehmer, Führungskräfte, Verantwortliche für den Arbeits- und Gesundheitsschutz und Sie als Interessenvertreter) umfassend zum Thema zu informieren und zu qualifizieren.

Eine Sensibilisierung für ein gesundes Betriebsklima und einen wertschätzenden, fördernden aber nicht überfordernden Führungsstil sind die Eckpfeiler für die psychische Gesundheit.

Der Balanceakt ist eine Herausforderung, die Sie als Betriebsrat mitgestalten können!