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Urlaub bei langandauernder Krankheit

1. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/ 88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten nicht entgegensteht, nach denen ein Arbeitnehmer im Krankheitsurlaub nicht berechtigt ist, während eines Zeitraums, der in die Zeit des Krankheitsurlaubs fällt, bezahlten Jahresurlaub zu nehmen.

2. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums auch dann erlischt, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben war und seine Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses fortgedauert hat, weshalb er seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte.

3. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen für nicht genommenen Jahresurlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung gezahlt wird, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums und/ oder Übertragungszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben bzw. im Krankheitsurlaub war und deshalb seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte. Für die Berechnung der entsprechenden finanziellen Vergütung ist das gewöhnliche Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers, das während der dem bezahlten Jahresurlaub entsprechenden Ruhezeit weiterzuzahlen ist, maßgebend.

(Leitsätze des Gerichts)

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 20.01.2009 – C-350/06 und C-520/06

Stand:  7.2.2011
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Der Fall

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in seiner Entscheidung unter anderem die Frage zu entscheiden, ob Urlaub, der wegen Krankheit nicht genommen werden konnte, ersatzlos verfallen kann. So wurde § 7 Abs. 3 BUrlG (Bundesurlaubsgesetz) von den deutschen Arbeitsgerichten bislang verstanden. Der Kläger hatte nach dem Ende seines Arbeitsverhältnisses die Abgeltung seines nicht genommenen Urlaubs verlangt. Er war von Anfang September 2004 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 30.09.2005 und weiter über den 31.03.2006 hinaus krank gewesen. Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen, weil der wegen Erkrankung nicht genommene Urlaub zwar ins Quartal des Folgejahres übertragen werde, aber am 31. März ersatzlos verfalle, wenn der Arbeitnehmer nicht wieder arbeitsfähig geworden ist.

Die Entscheidung

Auf Vorlage des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf entschied der EuGH, dass diese Rechtslage gegen Europarecht verstößt (Art. 7 der Richtlinie 2003/ 88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung). Danach sei bei der Frage, ob der Jahresurlaub verfallen kann, zu unterscheiden:

> Hatte ein Arbeitnehmer in einem Urlaubsjahr oder im Übertragungszeitraum die tatsächliche Möglichkeit, seinen Urlaub zu nehmen, könne ein Gesetz anordnen, dass der Urlaubsanspruch verfällt, wenn er trotzdem nicht genommen wurde.

> Hatte ein Arbeitnehmer wegen langandauernder Krankheit tatsächlich nicht die Möglichkeit, den Urlaub zu nehmen, verfalle er nicht und sei später zu nehmen oder sei in Geld abzugelten, sollte das Arbeitsverhältnis enden.

Bedeutung für die Praxis

Mit seiner Entscheidung verbessert der EuGH den Schutz der Arbeitnehmer maßvoll, ohne das deutsche Urlaubsrecht über den Haufen zu werfen. Die gesetzliche Vorschrift, die den Verfall von Urlaubsansprüchen regelt (vgl. § 7 Abs. 3 BUrlG), ist so auszulegen, dass sie mit dem Europarecht im Einklang steht. Das ist nach der Entscheidung des EuGH möglich. Danach gilt Folgendes: Der Urlaub ist nach wie vor grundsätzlich im Kalenderjahr zu nehmen. Wenn der Tarif- oder Arbeitsvertrag nichts anderes regelt, verfällt der nicht in Anspruch genommene Urlaub am Jahresende (vgl. § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG). Konnte der Urlaub aus betrieblichen oder persönlichen Gründen – andere sind ohnehin nicht denkbar – nicht genommen werden, wird er ins erste Quartal des Folgejahres, also bis zum 31. März übertragen und muss grundsätzlich in dieser Zeit genommen werden (vgl. § 7 Abs. 3 Sätze 2 und 3 BUrlG). Danach verfällt er.

Im Gesetz steht nicht ausdrücklich, was geschieht, wenn auch im Übertragungszeitraum Urlaub tatsächlich nicht genommen werden konnte. Das Bundesarbeitsgericht hat dies bislang so ausgelegt, dass der Urlaub ersatzlos verfällt. Diese Rechtsauffassung kann nicht mehr aufrecht erhalten werden, da sie gegen Europarecht verstößt. Vielmehr gilt: Urlaub, der tatsächlich nicht genommen werden konnte, verfällt nicht.

Diese Rechtsprechung ist zu begrüßen. Auf die Arbeitgeber kommt zwar eine finanzielle Belastung zu, denn der Urlaub von „Dauerkranken“ summiert sich jetzt auf und verfällt nicht mehr. Dies ist aber gerechtfertigt. Denn wie der EuGH betont, handelt es sich beim Erholungsurlaub um einen besonders bedeutsamen Grundsatz des Sozialrechts der Europäischen Gemeinschaft und hat den Zweck, dem Arbeitnehmer eine Ruhezeit zu gönnen, in der er selbst über seine Zeit verfügen kann, ohne Zwängen des Arbeitslebens und damit Weisungen Dritter unterworfen zu sein.

Auf der anderen Seite ist aber auch zu begrüßen, dass der EuGH ausdrücklich klarstellt, dass der Urlaub nach wie vor verfallen kann, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nimmt, obwohl er dies könnte. Das setzt sowohl den Arbeitnehmer unter Druck, seinen Urlaub zu nehmen und nicht anzusammeln, als auch den Arbeitgeber, den Urlaub zu bewilligen, weil dieser nicht mehr auf den Wegfall des Anspruchs hoffen kann.

Die Entscheidung ermöglicht es ferner, einen weiteren Grundsatz des Urlaubsrechts einzuhalten. Nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG darf Urlaub außer im Beendigungsfall nicht in Geld abgegolten werden. Urlaub bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses anzusammeln, um eine Abgeltung in Geld zu erlangen oder die Lebensarbeitszeit zu verkürzen, geht nicht.

Diese Rechtslage zu kennen, ist für Betriebsräte wichtig. Sie haben ein starkes Mitbestimmungsrecht bei der Urlaubsgestaltung (vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG). Durch die Entscheidung des EuGH herrscht Klarheit darüber, was geht und was nicht.

Michael Holthaus, Richter am Arbeitsgericht Jena

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