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Der Brexit und seine Folgen

Droht der Zerfall des Vereinigten Königreichs?

Großbritannien steht nach dem Brexit isoliert da. Die Folgen sind für das Land jetzt schon spürbar: Es gibt erhebliche Störungen beim Warentransport in die EU. Viele britische Firmen müssen sich neu aufstellen oder das Geschäft über den Ärmelkanal ganz aufgeben.

Geschäftsführer der EWC Academy Dr. Werner Altmeyer

Dr. Werner Altmeyer

Geschäftsführer der EWC Academy

Stand:  1.3.2021
Lesezeit:  05:00 min
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Der Handel zwischen Großbritannien & EU nach dem Brexit ? | © AdobeStock_ brainwashed 4 you

“Ich habe in meinem Leben zwei große Zerstörer kennengelernt: Gorbatschow, der die Sowjetunion zerstörte, und Cameron, der das Vereinigte Königreich zerstörte.”

Jean-Claude Juncker, ehemaliger Präsident der Europäischen Kommission

Allein im Januar 2021 kündigten hunderte von britischen Unternehmen an, ihre Aktivitäten in Länder innerhalb der EU zu verlagern, was zu einem dramatischen Exodus von Investitionen und Arbeitsplätzen führen wird. Die Hälfte der Exporteure in die EU hat nach Angaben der britischen Handelskammern Schwierigkeiten mit der wachsenden Brexit-Bürokratie und den Störungen an der Grenze. Das Exportvolumen über britische Häfen in die EU ging im Vergleich zum Januar des Vorjahres um 68% zurück. Der Finanzplatz London erlebt gerade einen Exodus in Richtung Amsterdam. Dies alles ergibt einen volkswirtschaftlichen Schaden, der laut Bank of England langfristig vier Prozentpunkte Wachstum kosten könnte.

Es fehlen schlicht Einrichtungen und Personal auf der britischen Seite.

Unmenge an Zollpapieren und erhöhte Kosten für Unternehmen

Hunderte Millionen Zollformulare werden jedes Jahr benötigt, die Unternehmen Milliarden Pfund kosten. Großbritannien muss Tausende Zollbeamte einstellen und neue LKW-Parks und Grenzkontrollposten in der Nähe von Häfen errichten. Die EU-Länder kontrollieren Waren aus Großbritannien jetzt schon, in umgekehrter Richtung verzichtet die britische Regierung noch bis zum 30. Juni 2021 auf die Kontrolle von Waren aus der EU. Es fehlen schlicht Einrichtungen und Personal auf der britischen Seite.

Besonders die Fischexporteure sind nach dem Ende der Brexit-Übergangszeit mit umfangreichen Formalitäten, steigenden Kosten und Verzögerungen an der Grenze konfrontiert. Sehr hart ist die Lage in Cornwall, wo viele für den Brexit gestimmt haben und nun von dramatisch steigender Arbeitslosigkeit betroffen sind. Ein Großteil der britischen Meeresfrüchte wird nämlich in die EU exportiert. Fischer aus Schottland bringen ihren Fang gar nicht erst auf die Insel, sondern fahren weiter nach Dänemark, um ihn direkt in der EU anzulanden und zu verkaufen.

Was sagt das Handelsabkommen?

Mit dem Austritt aus der EU am 01. Februar 2020 änderte sich zunächst fast nichts, denn das Austrittsabkommen beinhaltete eine Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2020. In diesen elf Monaten musste sich das Land weiter an EU-Gesetze halten, ohne eine Mitsprache zu haben (vergleichbar Norwegen). Seit dem 01. Januar 2021 ist nur noch Nordirland, nicht aber Großbritannien Teil des Binnenmarktes. In letzter Sekunde wurde am 24. Dezember 2020 ein Handelsabkommen erzielt, das der britischen Wirtschaft einen zollfreien Zugang zum Europäischen Binnenmarkt gewährt. Die EU konnte gleiche Wettbewerbsbedingungen („level playing field“) bei Arbeitnehmerrechten und Umweltstandards durchsetzen, allerdings werden sie auf dem bisherigen Niveau eingefroren. Verbesserungen muss Großbritannien künftig nicht mitmachen.

Das Handelsabkommen definiert folgende Arbeits- und Sozialstandards, die einem besonderen Schutz unterliegen:

(a) grundlegende Rechte am Arbeitsplatz

(b) Arbeits- und Gesundheitsschutz im Betrieb

(c) faire Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsstandards

(d) Unterrichtungs- und Anhörungsrechte auf Unternehmensebene

(e) Umstrukturierung von Unternehmen.

Die Überwachung erfolgt nicht über den Europäischen Gerichtshof, sondern über ein dreistufiges Schlichtungsverfahren.

Für Europäische Betriebsräte ergibt sich eine juristische Situation voller Widerspruch.

Folgen für Europäische Betriebsräte

Für Europäische Betriebsräte ergibt sich eine juristische Situation voller Widerspruch. Einerseits wäre die Abschaffung des britischen EBR-Gesetzes (TICER) ein Verstoß gegen das Handelsabkommen. Andererseits hat TICER keine Verbindung mehr zu den EBR-Gesetzen der EU-Länder und unterliegt nicht mehr der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Derzeit sind noch vier Klagen vor dem Central Arbitration Committee (CAC) in London anhängig, erste Instanz im britischen EBR-Recht, darunter eine über die Wahl britischer Delegierter in den EBR des deutschen Siemens-Konzerns.

Sonderfall Nordirland

Die offene Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland ist Teil des „Karfreitagsabkommens“ von 1998, mit der die Gewalt im Nordirlandkonflikt beendet wurde. Für die EU war es wichtig, diese Grenze offenzuhalten. Daher ist Nordirland weiterhin Teil des Europäischen Binnenmarktes und alle Einwohner haben das Recht auf einen irischen Pass, womit sie automatisch EU-Bürger sind. Es hat eine hohe symbolische Bedeutung, dass Nordirland jetzt anders behandelt wird als der Rest des Vereinigten Königreichs.

Folglich gibt es eine Grenze in der Irischen See. Lebensmittel, die aus Großbritannien nach Nordirland gelangen, werden in den Häfen kontrolliert, was im Januar 2021 bereits zu Engpässen in nordirischen Supermärkten führte. Unionistische Parteien in Nordirland, die für eine enge Bindung an Großbritannien eintreten, sehen dies als Verfassungsbruch und haben am 21. Februar 2021 angekündigt, gegen das Handelsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich vor dem Obersten Gerichtshof in London zu klagen. Seit der Landtagswahl von 2017 verfügen jedoch Parteien, die eine Wiedervereinigung mit der Republik Irland anstreben, über eine Mehrheit. Denkbar ist ein Referendum in den kommenden Jahren. Sollte sich die Insel wiedervereinigen, wird der Norden automatisch auch die volle EU-Mitgliedschaft wiedererlangen.

Ein unabhängiges Schottland würde unverzüglich die EU-Mitgliedschaft beantragen.

Schottland will zügig der EU beitreten

Am 17. Dezember 2020 gab Nicola Sturgeon, Erste Ministerin von Schottland, in einer Pressekonferenz bekannt, dass ein unabhängiges Schottland unverzüglich die EU-Mitgliedschaft beantragen werde. Bereits 2017 hatte sie in London die Genehmigung für ein zweites schottisches Unabhängigkeitsreferendum beantragt. Seither hat sich die Stimmung in der Bevölkerung gedreht: Im April 2017 wollten nur 34% aller Schotten unabhängig sein (53% nicht), Mitte Dezember 2020 befürworteten bereits 52% die Unabhängigkeit (38% lehnten sie ab).

Im Mai 2021 finden Landtagswahlen statt. Umfragen sehen für die Schottische Nationalpartei (SNP), die sich gerne an den schwedischen Sozialdemokraten orientiert und mit Unterstützung der Grünen regiert, einen Stimmenzuwachs auf 55% um fast zehn Prozentpunkte voraus. In diesem Fall stünde die Regierung in London unter großem Druck, das Referendum zu akzeptieren. Lehnt sie es ab, will die schottische Regierung den Gerichtsweg beschreiten. Seit der Vereinigung von Schottland und England 1707 hat Schottland immer noch sein eigenes oberstes Gericht, den Court of Session. Boris Johnson sieht dies offenbar als Bedrohung und hat am 25. Februar 2021 einen Regierungsausschuss gebildet, der sich darauf konzentriert, das Vereinigte Königreich zusammenzuhalten.

Wales und Gibraltar

Auch in Wales gibt es Unabhängigkeitsbestrebungen. Der Parteiführer der walisischen Regionalpartei Plaid Cymru spricht bereits über die „letzten Tage des britischen Staates”. Gibraltar stimmte mit einer Mehrheit von 96% für die EU-Mitgliedschaft. Um den freien Personenverkehr mit Spanien aufrechtzuerhalten, ist Gibraltar seit dem 01. Januar 2021 unter der Schirmherrschaft Spaniens Teil des grenzkontrollfreien Schengen-Raums. Zum ersten Mal, seit Gibraltar 1713 an Großbritannien abgetreten wurde, sind jetzt spanische Grenzbeamte auf dem Territorium von Gibraltar für die Einreisekontrolle zuständig, auch für Fluggäste aus London. Es ist ein halber Schritt zur Wiedervereinigung mit Spanien.

„Das Vereinigte Königreich ist in Gefahr, ein gescheiterter Staat zu werden“

Am 24. Januar 2021 forderte der frühere Premierminister Gordon Brown grundlegende Verfassungsänderungen unter der Leitung eines „Rates für Demokratie“, der „die Prinzipien überprüfen soll, wie das gesamte Vereinigte Königreich regiert wird”. Dazu gehört die Schaffung von Regionalparlamenten für die Regionen Englands. Andy Burnham, der erste gewählte Oberbürgermeister des Ballungsraums Greater Manchester, verfolgt die Gründung eines Regionalrats von Nordengland, was der Vorläufer eines neuen Bundeslandes sein könnte. In Schottland gibt es sogar Bestrebungen, die Monarchie abzuschaffen.

„Die Leute dachten, es läge etwas patriotisches oder besonders pro-britisches darin, die EU zu verlassen, um dann zu entdecken, dass es zum Zerfall des Landes führen wird.“

William Hague, ehemaliger Außenminister

Besucher aus Deutschland

Ab dem 01. Oktober 2021 benötigt man für die Einreise einen Reisepass. Der Personalausweis ist dann nicht mehr ausreichend. Ein Visum muss allerdings nicht beantragt werden. Besucher aus den EU-Ländern können weiterhin ihre gültige Europäische Krankenversicherungskarte (EKVK) verwenden, um den öffentlichen Gesundheitsdienst in Anspruch zu nehmen.

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