Kurz vor den Bundestagswahlen 2021 wurden einige Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht; insbesondere Änderungen zum Betriebsverfassungsgesetz (Betriebsrätemodernisierungsgesetz) und Änderungen der Wahlordnung.
a) Betriebsrätemodernisierungsgesetz
Ursprünglich sollte es Betriebsrätestärkungsgesetz heißen — so noch der Titel des Referentenentwurfs von Arbeitsminister Hubertus Heil im Dezember 2020. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verkündete es schließlich im Juni 2021 als Betriebsrätemodernisierungsgesetz. Das Ziel der Gesetzesänderung ist das gleiche geblieben. Seit Jahren nimmt die Anzahl der Betriebsratsgremien in Deutschland ab. Vereinfachungen bei der Betriebsratswahl und mehr Schutz für Betriebsratsgründer sollen dazu beitragen, dass wieder mehr Betriebsräte in Deutschland gegründet werden – und damit auch wieder mehr Arbeitnehmer durch einen Betriebsrat eine Stimme in ihrem Betrieb bekommen.
Darüber hinaus sollten die Rechte des Betriebsrats bei der Qualifizierung, beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und bei der mobilen Arbeit gestärkt werden. Zusätzlich sollte durch die Möglichkeit, Betriebsratssitzungen dauerhaft mittels Video- oder Telefonkonferenz durchführen zu können und Betriebsvereinbarungen unter Nutzung einer qualifizierten elektronischen Signatur abzuschließen, die Betriebsratsarbeit ein Stück weit modernisiert werden.
Die wichtigsten Kernpunkte im Überblick. Das ist neu:
- Änderungen zur BR-Wahl
- Möglichkeit für virtuelle Betriebsratssitzungen und digitale BR-Arbeit
- Klarstellung der Mitbestimmung bei mobiler Arbeit
- Klärung der verantwortlichen Stelle im Datenschutz
- Mitbestimmung bei Qualifizierung und
- Betriebsratsbeteiligung bei Künstlicher Intelligenz
1) Änderungen rund um die BR-Wahl
Hier gab es sechs Änderungen.
Erstens wurde das Wahlalter abgesenkt (§ 7 BetrVG).
Zweitens braucht es weniger Stützunterschriften. Ziel des Erfordernisses von Stützunterschriften ist es, völlig aussichtslose Wahlvorschläge zu verhindern. Um in kleinen Betrieben die Formalitäten der Wahl zu vereinfachen, wurde die Anzahl der erforderlichen Stützunterschriften wie folgt reduziert:
- Bis 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer: keine Stützunterschriften
- 21 bis 100 wahlberechtigte Arbeitnehmer: Stützunterschriften von mindestens zwei wahlberechtigten Arbeitnehmern (bisher: von mindestens einem Zwanzigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, mindestens aber von drei wahlberechtigten Arbeitnehmern)
- Ab 101 wahlberechtigten Arbeitnehmern: Stützunterschriften von mindestens einem Zwanzigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, immer ausreichend: 50, wie bisher (§ 14 Abs. 4 BetrVG)
Drittens wurde das vereinfachte Wahlverfahren ausgeweitet (§ 14a Abs.1 BetrVG). Es ist nun für eine Betriebsgröße bis zu 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern verpflichtend, zudem wird für Betriebe mit 101 bis 200 wahlberechtigten Arbeitnehmern die Möglichkeit eröffnet, das vereinfachte Wahlverfahren zwischen Wahlvorstand und Arbeitgeber zu vereinbaren (§ 14a Abs. 5 BetrVG) .
Viertens: Für mehr Rechtssicherheit wurden Anfechtungsmöglichkeiten bezüglich Fehler, die auf einer Unrichtigkeit der Wählerliste beruhen, für wahlberechtigte Arbeitnehmer und den Arbeitgeber eingeschränkt.
Fünftens wurde der Kündigungsschutz für Initiatoren ausgeweitet. Bislang waren die ersten drei Arbeitnehmer, die in der Einladung zur Wahlversammlung stehen, nicht ordentlich kündbar. Jetzt gilt dieser Kündigungsschutz für die ersten sechs Arbeitnehmer (Achtung: das gilt nicht für betriebsbedingte Kündigungen!). In der Praxis stellen die drei Einladenden häufig auch den aus drei Personen bestehenden Wahlvorstand. Fällt aber eine der drei Personen – etwa wegen Krankheit – aus oder wird eingeschüchtert, besteht die Gefahr, dass die Betriebsratswahl zunächst nicht erfolgreich durchgeführt werden kann, da nicht mehr die erforderliche Anzahl an Wahlvorstandsmitgliedern vorhanden ist. Mit der Erhöhung auf sechs Arbeitnehmer hat der Gesetzgeber für diesen Fall auch die Ersatzmitglieder geschützt, die dann einspringen können. Hinzu kommt, dass der Kündigungsschutz unter bestimmten Voraussetzungen schon für Vorbereitungshandlungen greift, längstens jedoch für drei Monate (§ 15 Abs. 3a 2. Halbsatz KSchG).
Schließlich sollten sechstens die Errichtung von JAVen erleichtert und an die betrieblichen Realitäten angepasst werden. Deshalb fiel die Altersgrenze von 25 für Azubis beim passiven Wahlrecht weg, maßgebend (bei aktivem Wahlrecht) ist nunmehr nur noch der Status als Auszubildender. Auch bei der JAV-Wahl wurde, wie bei der Betriebsratswahl, die Anwendung des sog. vereinfachten Wahlverfahrens ausgeweitet.
2) Möglichkeit für virtuelle Betriebsratssitzungen und digitale Betriebsratsarbeit
Mehr digitales Arbeiten wird möglich durch:
- Dauerhafte Ermöglichung virtueller Sitzungen unter bestimmten Voraussetzungen;
- elektronische Signatur für den Abschluss von Betriebsvereinbarungen, Interessenausgleich und Sozialplan;
- Digitalisierung des Spruchs der Einigungsstelle.
Erstens: virtuelle Sitzungen des Betriebsrats
Zunächst das Wichtigste zur virtuellen Sitzung: Es gilt der Grundsatz: Vorrang der Präsenzsitzung! Die Präsenzsitzung unter physischer Anwesenheit der Teilnehmer vor Ort soll der Regelfall bleiben. Das wird im neuen § 30 Abs. 1 S. 5 BetrVG eindeutig klargestellt. Folgende drei Voraussetzungen müssen vorliegen:
- Die Voraussetzungen für das Abhalten einer digitalen Sitzung sind vom Betriebsrat unter Sicherung des Vorrangs der Präsenzsitzung in der Geschäftsordnung festgehalten.
- Es liegt kein Widerspruch von einem Viertel der Betriebsratsmitglieder vor.
- Die Nichtöffentlichkeit ist sichergestellt.
Ob und inwieweit die Möglichkeit der Video- und Telefonkonferenz genutzt wird, steht in der alleinigen Entscheidungsbefugnis des Betriebsrats. Der Arbeitgeber ist in keinem Fall berechtigt, die Durchführung mittels Video- und Telefonkonferenz zu verlangen.
Bei hybriden Sitzungen bleibt die Teilnahme vor Ort erforderlich. Für Fälle, in denen eine Betriebsratssitzung vor Ort erfolgt und nur einzelne BR-Mitglieder mittels Video- oder Telefonkonferenz teilnehmen, z. B. während einer Dienstreise oder aus dem Home-Office, stellt § 30 Abs. 3 BetrVG klar, dass in einem solchen Fall auch eine Teilnahme an der vor Ort stattfindenden Sitzung als erforderliche Betriebsratstätigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 BetrVG gilt. Dadurch wird sichergestellt, dass Betriebsräte nicht gezwungen werden, aus Kostengründen auf eine Teilnahme vor Ort zu verzichten.